Stuttgarter Zeitung vom 22. August 2002
"Zeichen
moralischer Größe"
Bronzetafel
erinnert an Charta der Vertriebenen
Stuttgart Es muss ein unbeschreiblicher Anblick gewesen
sein an jenem 6. August 1950: Mehr als 150 000 Heimatvertriebene trafen
sich damals vor den Ruinen des Stuttgarter Neuen Schlosses misstrauisch
beobachtet von den Siegermächten.
Diese hatten revanchistische Töne befürchtet angesichts des
Leids, das Millionen deutscher Flüchtlinge erlitten hatten. Doch
stattdessen überraschte die Versammlung mit einer versöhnlichen
Erklärung, die mittlerweile historischen Rang hat. "Wir Heimatvertriebenen
verzichten auf Rache und Vergel
tung", lautet einer der zentralen Sätze. Die Charta mündet
schließlich in die Forderung, das Recht auf Heimat als menschliches
Grundrecht anzuerkennen was Baden Württemberg als einziges Bundesland
in seiner Verfassung verankert hat.
Seit Mittwoch erinnert nun auch eine Gedenktafel vor dem Stuttgarter Schloss
an das "historische Dokument des Friedens", wie Finanzminister
Gerhard Stratthaus die Vertriebenen Charta bei der Enthüllung einer
im Boden eingelassenen Bronzeplatte nannte. "Verständigung statt
Vertreibung, Versöhnung statt Vergeltung" heißt es darauf.
In der Feierstunde erinnerte Stratthaus an das "Wunder", wie
sich die Vertriebenen trotz des noch frischen Eindrucks von Leid und Unrecht
zur Einigung Europas und zum Wiederaufbau Deutschlands verpflichteten.
Und er verband damit einen Appell an die osteuropäischen Staaten,
ihrerseits die Vertreibung als Unrecht anzuerkennen: "Wer nach Europa
will, muss zur Versöhnung bereit sein."
Auch Innen Staatssekretär Heribert Rech würdigte die Charta
als "Dokument des Friedens" und als "Zeichen moralischer
Größe", weil den Vertriebenen Unrecht geschehen sei. "Das
Unrecht wird nicht dadurch geringer, dass vorher von deutscher Seite großes
Unrecht verübt wurde", sagte der Landesbeauftragte für
Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler. Die Landesregierung unterstütze
das Vorhaben des Bundes der Vertriebenen (BdV), ein Zentrum gegen Vertreibung
in Berlin zu errichten.
BdV Landesvorsitzender Arnold Tölg, der die Anregung zu der Gedenktafel
gegeben hatte, sagte, Deutschland könne stolz auf die Charta sein.
Tölg: "An sich hätten die Vertriebenen den Friedensnobelpreis
verdient gehabt."
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Gedenktafel
vor dem Schloß Foto: uk
VON ARNOLD
RIEGER
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